BODENHEIM - Die seit 1963 existierende Spirituosen-Produktionsstätte "Kuemmerling" im Bodenheimer Gewerbegebiet wird, wie vor knapp zwei Jahren angekündigt, aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Die schrittweise Verlagerung nach Wiesbaden zum Stammsitz der Henkell-Gruppe als Eigentümerin hat sich immer wieder verzögert, soll aber bis zum Sommer abgeschlossen sein. Noch völlig unklar ist, was mit dem 40 000 Quadratmeter großen Betriebsgelände in Bodenheim passiert. In der Kommunalpolitik diskutiert wird eine Mischung aus gewerblicher Nutzung und Wohnbebauung.
Ein Dialog zwischen dem Beigeordneten Andreas Kappel (SPD) und dem Henkell-Pressesprecher Jan Rock, von der AZ aufgeschnappt bei einem Pressetermin anlässlich von lokalen Filmaufnahmen, verdeutlicht, dass sich der Konzern und die über die Planungshoheit verfügende Ortsgemeinde über die Zukunft der Gewerbefläche nicht einig sind. "Wir haben eine Veränderungssperre verhängt, weil wir nicht wissen, wohin die Reise geht. Wir sind doch nur ein Minipartner", formuliert der Kommunalpolitiker. Daraufhin der Henkell-Vertreter: "Wir wollen nicht über ungelegte Eier sprechen, sondern gemeinsam nach vorne schauen. Die Gemeinde muss auch mal sagen, wo sie hinmöchte. Denn wir wissen nicht, über was wir reden." Die Antwort Kappels: "Wir auch nicht."
In der Ortsgemeinde hat sich inzwischen ein aus Vertretern aller im Gemeinderat vertretenen Fraktionen bestehender Arbeitskreis gebildet, um über die spätere Nutzung dieses zentralen Industriegeländes zu sprechen und ein Leitbild über die Zukunft der Gemeinde zu erarbeiten. Nächste Sitzung ist an diesem Donnerstag. Einigkeit scheint darüber zu bestehen, "dass die Gemeinde nicht mehr unendlich wachsen soll", wie Ortsbürgermeister Thomas Becker-Theilig (SPD) formuliert.
Unklar ist, ob das "Kuemmerling"-Gewerbeareal als Mischgebiet ausgewiesen werden soll. Heißt: Dann wäre neben einer gewerblichen Nutzung eine Wohnbebauung möglich. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kirch nimmt gegenüber der AZ diese Haltung ein: "Mit Wohnungen kann ein Investor am meisten Gewinn erwirtschaften. Wir sind beim Kuemmerling-Gelände aber für eine Weiternutzung als Gewerbefläche." Denn mit einem neuen Wohnquartier müsste die Infrastruktur (dazu gehören Kitas und Schulen) geschaffen werden. Der Beigeordnete Kappel warnt vor einer "Industriebrache für die nächsten zehn Jahre". Sein Appell an Henkell lautet, für eine gewerbliche Folgenutzung auch Geschäftspartner oder Zulieferer in Betracht zu ziehen. Nach AZ-Informationen ist inzwischen ein Kaufinteressent wieder abgesprungen.
Doch beim besagten Pressetermin mit dem lokalen Filmemacher Johannes Schöller (TV Rheinterrasse) drehen sich die Gespräche in erster Linie um die seit fast sechs Jahrzehnten bestehende Verbundenheit zwischen Kuemmerling und der Ortsgemeinde. Erinnerungen werden wach an den Anfang der 1920er Jahre vom "Reiseapotheker" Hugo Kümmerling entwickelten und seit 1938 produzierten Kräuterlikör, an die Neuansiedlung des Unternehmens im Jahr 1963 in Bodenheim, an die goldenen Jahre mit bis zu 1000 Arbeitsplätzen und sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinde und an den Unternehmer Johannes Persch, aber auch an den langsamen Niedergang. Bekanntlich gehört "Kuemmerling" seit 2010 zur Henkell & Co. Sektkellerei KG. Doch jetzt sind die Tage als zentrale Henkell-Spirituosenproduktionsstätte (Kuemmerling, Wodka Gorbatschow, Scharlachberg Meisterspirituose und "Pott"-Rum) in Bodenheim gezählt. Die Produktion (derzeit noch 200 000 "Kuemmerling"-Fläschchen pro Schicht) wird bis zum Sommer vollständig nach Wiesbaden zu Henkell verlagert. Weil wegen des Umzugs sechs bis acht Wochen nicht abgefüllt werden kann, wird derzeit zusätzlich auf Halde produziert. Gut 75 Prozent der 55 Mitarbeiter wechseln auf die andere Rheinseite. Noch arbeiten 30 in Bodenheim.
"Es herrscht schon Wehmut. Denn die Weltmarke Kuemmerling hat uns stolz gemacht", fasst der Ortsbürgermeister die Stimmungslage zusammen. Ein kleiner Trost bleibt: Auf die 0,02-Liter-Kuemmerling-Fläschchen wird auch weiterhin der Name Bodenheim gedruckt. Denn die Gemeinde bleibt, so versichert Pressesprecher Rock, ganz offiziell der "Kuemmerling"-Firmensitz.
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